Alte Kiste

“Geborgen und verborgen” – November 2009

Geschichte einer alten Kiste

“Inventarnummer 17547: Fluchtkiste aus einfachen Fichtenbrettern zusammengenagelt, Eisenbeschläge und ein Eisenriegel als Verschluss. Sowohl Kistendeckel als auch die Seitenwangen sind mit Anschriftenetiketten und Aufklebern mit der Nummer “3” beklebt.”

Was so nüchtern und sachlich im Inventarbuch des Egerland-Museums aufgelistet ist, erzählt in der Realität eine Geschichte vom Mitnehmen und Zurücklassen oder wie der Spender der Kiste schreibt: “Die Geschichte dieser Vertriebenenkiste ist gleichzeitig ein tragischer Teil des Lebens meines Vaters (…)”.

Holzkiste, Fluchtkiste des Hans Pleyer, Inv.-Nr. 17547.

Die Geschichte der Kiste beginnt mit Hans Pleyer, der 1890 in Eger geboren wurde und dort bis zu seiner Vertreibung als Oberpostsekretär beschäftigt war. In seiner Freizeit interessierte er sich besonders für die Wirtschaftspolitik, zu dieser Thematik plante er die Publikation eines Buches. Zahlreiche Lexika, die ihn zuhause zu Verfügung standen, unterstützten ihn bei der Recherche. Als sich aber das Ende des Krieges abzeichnete und die Familie bereits ahnte, dass sie ihre Heimat wahrscheinlich verlassen müssen, beauftragte Hans Pleyer einen Egerer Tischler eine maßgerecht Kiste für seine geliebten Lexika anzufertigen. Vielleicht verwundert es manchen Leser, einen so nutzlosen Gegenstand in das Fluchtgepäck zu packen. Aber für Hans Pleyer hatten die scheinbar nutzlosen Lexika einen hohen ideellen Wert. Doch die Zeichen der Zeit ließen es nicht zu, die geliebten Bücher mit auf den Transport zu nehmen.

Am 31. Juli 1945 musste Familie Pleyer ihre Wohnung in der Schmerlingstraße 28 in Eger verlassen. Die gezimmerte Bücherkiste wurde umfunktioniert, denn in den erlaubten 30-70 kg Fluchtgepäck konnte nur Lebensnotwendiges Platz finden: Betten, Geschirr, Lebensmittel und Kleidung und vielleicht ein paar persönliche Kleinigkeiten. Die Lexika blieben zurück. Ein Aufkleber mit der Nummer “3” an der Holzkiste erinnert noch an den Flüchtlingstransport nach Thüringen. Nach mehreren Stationen in verschiedenen Vertriebenen- und Auffanglagern fand die Familie Pleyer schließlich eine neue Heimat in Ruhla in Thüringen. Lange Zeit diente die Kiste in der spärlichen Notunterkunft noch als wichtiges Möbelstück. Hans Pleyer arbeitete trotz der armseligen Umgebung akribisch weiter an seinem Manuskript. Den Verlust seiner in der alten Heimat zurückgelassenen Lexika konnte er aber nicht überwinden. Er verstarb desillusioniert am 18. Februar 1947.

Geschichten, die die Verzweiflung über das Nichtmitnehmenkönnen persönlicher, emotional hoch besetzter Andenkenstücke zum Thema haben, gibt es viele – unsere Fluchtkiste mit der Inventarnummer 17547 steht exemplarisch für diese Schicksale.

Die Holzkiste aber erhielt einige Jahre später doch noch ihre ursprüngliche Aufgabe zurück. Der Sohn des verstorbenen Hans Pleyer erwarb eine wunderbare mehrbändige Brockhaus-Ausgabe und die Kiste wurde für den Versand der wertvollen Lexika verwendet. So kam sie nach vielen Jahren doch noch zu ihrem Recht.

Carola Reul M.A.