Die Welt über uns – Kunstwerk des Monats März 2003

Visionen lyrischer Spiritualität

Das Triptychon Die Welt über uns, 1999, Mischtechik auf Leinwand, 100 x 264 cm, von Josef Kardinal erinnert mit seiner dreiteiligen Anordnung an die alte Form der

Flügelaltäre. Der Künstler erzeugt damit eine gewisse lyrische Spiritualität, deren Definition jedoch nicht im Theologischen sondern in der Philosophie eines Zeitalters gesucht werden kann, das die empirischen Wissenschaften zu Substituten der Religion erklärt.

Als Grundmotive in Josef Kardinals OEuvre erscheinen immer wieder die unerläßlichen Ingredienzen irdischer Lebensformen, die Ursprünge alles Seins: zellartige Substanzen, Gewässer, Lichtformen und Atmosphärisches. In dieser Peristase agieren menschenähnliche Wesen, die flächig gestaltet und mit wenigen, skizzenartig feinen Linien umrissen sind. Oft vermischen sie sich mit der Farbgebung des Hintergrundes, erscheinen dadurch schwere- und körperlos, aus Licht, Luft oder Wasser formiert und den Eindruck einer geheimnisvollen, unauflöslichen Verbindung mit der kosmischen Energie vermittelnd. Metamorphosen, der Wechsel von der irdischen zu einer anderen Daseinsform könnte von ihnen mühelos vollzogen werden. Mit diesen phantastischen, auratischen Geschöpfen und einem fließenden Kolorismus in der Tradition eines Marc Chagall wird der Eindruck der oben erwähnten lyrischen Spiritualität erzeugt.

Der mittlere Teil des Triptychons erinnert durch die transparenten Blau-/Violett-Tönungen und der Dominanz der planetenartigen Konstruktion im Zentrum der Bildebene an Kosmogonien, den in der Religionsgeschichte verankerten chaotischen Urzustand der Welt. Die Meere sind noch nicht geteilt, erstes Leben nur in der Art von Einzellern vorhanden. Doch wird die fruchtbare, lebenspendende Substanz des Wassers und der Atmosphäre bereits deutlich. In den oberen Bildhälften des rechten und linken Flügelbildes scheinen Mikrokosmen zu schweben.

Daneben lassen sich Witterungserscheinungen wie Stürme, Regenschauer oder Schneegstöber erahnen. Auf den unteren Bildhälften der äußeren Gemälde agieren jeweils von wärmendem Licht durchflutete Geschöpfe in ausdrucksvoller Mimik und Gestik. In ihnen setzt sich das Blau des Gewässers und der Atmosphäre fort. Liegend, sitzend, stehend und laufend zeugen diese Gestalten von den Urkräften des unendlichen Weltalls und damit von ihrer Zugehörigkeit zu einem übergeordneten System. Das Werk verweist auf die Bedeutung der universellen, kosmischen Energie, in der alle kulturellen Schöpfungen gründen und in die sie nach ihrem physischen Zerfall wieder zurückgeführt werden.

Josef Kardinal ist 1937 in Hollowing bei Marienbad geboren. Dort verbringt er seine Kindheit und die ersten Schuljahre. 1946 wird seine Familie aus der Heimat vertrieben. Sie läßt sich in Zorneding bei München nieder. Nach einer handwerklichen Ausbildung zum Malermeister und langjähriger erfolgreicher selbständiger Tätigkeit in diesem Beruf beginnt er in den 1960-er Jahren eine künstlerische Ausbildung.

Von 1965 bis 1967 ist er Privatschüler des Malers Josef Loher. Von 1966 bis 1972 studiert er bei Professor Kaspar an der Akademie der Bildenden Künste in München. Dort schließt er 1972 sein Studium als Meisterschüler mit Diplom ab.

Anschließend arbeitet er als freier Künstler in Zorneding. Zu dieser Zeit beteiligt er sich an einem Wettbewerb  der Akademie für den Entwurf der Wandgestaltung im Arabella-Haus in München. Neben mehreren Einzelausstellungen nimmt er in den 1970-er Jahren an den Großen Kunstausstellungen im Haus der Kunst in München teil, von dieser Zeit an auch jeweils an den Jahresausstellungen des Kunstpavillons. Seit 1978 ist der Künstler Vorstands- und Jurymitglied im Schutzverband Bildender Künstler. Er gehört der Abteilung bildende Kunst des AEK an, arbeitet im Organisationsgremium der Egerländer Kunstgalerie mit und gehört der Künstlergruppe

Freie Egerländer Künstler an. Das Triptychon Die Welt über uns stellte er als Leihgabe für die Schausammlung der Egerländer Kunstgalerie zur Verfügung.

HAvL