Ikarus – Kunstwerk des Monats April 2002

Egerländer Kunstgalerie Marktredwitz

Ikarus - Kunstwerk des Monats April 2002
Aufbruch zu neuen Ufern

Mit dem Gemälde Ikarus, 1997, Acryl auf Leinwand, 230 x 180 cm, greift der Maler und Grafiker Helmut Hellmessen ein Thema aus der griechischen Mythologie auf, das den Dualismus des menschlichen Lebens behandelt. In der Ikarus-Sage sind der kunstreiche Handwerker, Erfinder und Baumeister Dädalos und sein Sohn auf der Insel Kreta von König Minos gefangen gehalten. Im Auftrag des Königs muss Dädalos, dessen Name im Griechischen der „Kunstfertige“ bedeutet, das Labyrinth bei Knossos für Minotaurus, den mischgestalteten Abkömmling aus der Verbindung eines Stiers und der Gemahlin des Königs Minos, erbauen. Dädalos, der unter der Gefangenschaft leidet, konstruiert ein Fluggerät, mit dem er fliehen will. Dem Vater gelingt die Flucht nach Unteritalien. Ikarus fliegt im Übermut zu nahe an die Sonne, wodurch sich die mit Wachs zusammengehaltene Konstruktion des Fluggeräts auflöst und er ins Meer stürzt und zu Tode kommt.

Die Darstellung zeigt Ikarus mit einem überlebensgroßen athletischen Körper. Er mutet durch das grau schattierte Kolorit wie metallisch an. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die Gliedmaßen wie mit Schienen ausgestattet scheinen. Kontrastierend wirkt dazu die Darstellung des Gesichts im Profil himmelwärts gewandt und das hünenhafte der Gestalt noch verstärkend. Durch die Farbgebung des Hintergrunds von schwarz in blau übergehend wird der Eindruck erweckt, der Körper stecke noch im Erdreich während sich die Arme und der Kopf ins Blaue des Himmels erhebt. Durch das schaftartige Format des Bildes wird der Eindruck, der Körper wird unten noch von der Erdschwere festgehalten, verstärkt. Dagegen bewirkt der nach oben zum Himmel gerichtete Kopf und die wie kraftvoll nach oben gestreckten Arme den Eindruck eines Nach-Oben-Strebens, der unendlichen Weite des Himmels entgegen. Weil damit dem Betrachter zugleich das menschliche Streben nach neuen Zielen vermittelt wird, hat der Künstler sein Werk auch als „Aufbruch“ bezeichnet.

Dennoch wird mit der dargestellten Erdenschwere und der Himmelssehnsucht der Dualismus des Menschen verdeutlicht. Dies ist zugleich die Kernaussage der griechischen Ikarus-Mythologie. Sie handelt von der Erdverbundenheit des Menschen, der Kraft seiner Ideen, seiner geistigen Fähigkeiten, sich über das Irdische hinaus zu unbegrenzten Weiten erheben kann. Es gelingt damit aus der Gefangenschaft in die Freiheit zu entfliehen. Zugleich hebt die Sage durch das Schicksal des Ikarus hervor, dass dieses Aufschwingen in neue geistige Höhen auch erhebliche Risiken beinhaltet. Vater Dädalos warnt seinen Sohn Ikarus eindringlich vor diesen Gefahren. Der Sohn schlägt aber im Übermut des Fliegens diese Warnungen aus und stürzt in die Tiefe. Damit wird der weitere Dualismus, der im menschlichen Handeln mit der Möglichkeit des Erfolgs und dem Risiko des Scheiterns liegt, hervorgehoben. Der Künstler versteht es, mit seinem Bezug zur Kreuzform sowohl durch das Format des Gemäldes als auch durch die Form des Körpers mit den ausgebreiteten Armen dieses Scheitern und das damit verbundene Leiden vorweg zu nehmen, obwohl sich vordergründig die Darstellung auf den Beginn des Fluges, den Start, beschränkt. Mit diesem Hinweis auf das menschliche Leid ordnet sich das Kunstwerk in eines der Generalthemen der Schausammlung der Egerländer Kunstgalerie ein. Mit ihm kommt aber wohl auch zum Ausdruck, dass menschliches Leid durch den Geist überwunden werden kann, wie dies mit dem Kreuzestod Jesu nach christlichem Glauben geschehen ist, an den die kreuzartige Form des Gemäldes erinnert.

Das Gemälde zeigt, wie sehr für Hellmessen die Grundlage für die Zeichnung, der Strich, zugleich auch die Grundlage für seine Malerei ist. Er knüpft damit an den Vater der Moderne unter den Egerländer Künstlern, August Brömse an, von dem ebenfalls ein von der griechischen Mythologie beeinflusstes Gemälde zur Schausammlung gehört. Für August Brömse war der Strich die einzig gültige Grundlage für die Malerei. Bei Hellmessen werden die Linien zu Flächen und Rundungen, gewinnen die dritte Dimension, wie Eckard Nordhofen sich in dem Buch WIR, Künstler in der zweiten Heimat, ausdrückt.

Helmut Hellmessen knüpft mit der Aussage seines Ikarus-Gemäldes zugleich an sein Werk Aufruhr II von 1989, das das Kunstwerk des Monats November 2001 war, an. Mit ihm wird der Protest, mit dem Unfreiheit und Gewalt überwunden werden kann, thematisiert.

Helmut Hellmessen wird 1924 in Karlsbad geboren, besucht zunächst Schulen in Aussig und Prag. Macht dann den Krieg als Soldat mit und wird als Zwangsarbeiter bis 1947 in einem Arbeitslager im Brüxer Kohlebergwerk eingesetzt. Nach der Vertreibung aus der Heimat besucht er die Werkkunstschule in Offenbach und schließt sein Studium 1953 mit dem Staatsexamen ab. Von 1954 bis 1956 ist er Atelierleiter bei einem Pressedienst in Frankfurt/Main. Seit 1957 ist Hellmessen freiberuflich als Grafiker und Maler tätig. Er lebt seit 1964 in Maintal bei Frankfurt/Main. Seit 1985 ist er Dozent an der Sommer-Akademie Moosburg/Kärnten.

Sein künstlerisches Werk hat die Zeichnung als Grundlage. Er selbst bezeichnet die Zeichnung als sein intimstes Ausdruckmittel. Dies dokumentiert ein Projekt, das gerade fertig gestellt ist: Die Sammlung von 6.500 Zeichnungen in 36 Bänden. Dennoch ist er ein Künstler mit vielen Facetten, was eine große Ausstellung im historischen Rathaus in Hochstadt im Main-Kizing-Kreis im Januar/Februar 2002 wieder belegt hat. Ausgehend von einer klassischen akademischen Schulung entwickelt sich bei ihm ein grafisches Oeuvre im Bereich „Mensch und Raum“ und „Figur und Landschaft“ mit starker Betonung des Zeitkritischen in einem eher expressiv magischen Realismus. Neben den Zeichnungen entstehen Gouachen, farbige Kreide, Aquarelle, Lithographien und Radierungen. Eine starke Ausrichtung auf das Druckgrafische folgt. Ab 1972 verstärkt Radierungen. Ein besonderer Schwerpunkt sind Buchillustrationen vor allem mit dem Verlag Ed. Curt Visel. Es entstehen die Bücher Prag, Rom, Provence.1988 Übergang zu Materialbildern in Acryl im Großformat. Thema „Tabor“ (Lager), figürliche Kompositionen, stark abstrahiert, später Übergang zusehr spontaner Malweise. Diese Spontanität findet auch ab 1990 Niederschlag in den Zeichnungen, die sich zu grafischen Chiffren verselbständigen. Dank seiner unerschöpflichen Phantasie entsteht Surrealistisches mit hohem werkimanentem Wert (Professor Dr. Wolf Spemann, Universität Frankfurt/Main).

Helmut Hellmessen beteiligt sich an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland und erhält Einzelausstellungen. Die Zahl der Ausstellungen wird mit 360 angegeben und es finden sich darunter Tel Aviv, Kairo, Alexandria, Krakau, Rijeka, Mailand, Lyon, Bern, Darmstadt, Aschaffenburg, Frankfurt/Main, Hanau, Marktredwitz. Der Künstler ist Mitglied der Neuen Sezession Darmstadt, der Künstlergilde Esslingen, der Künstlergruppe Prisma, des BBK Frankfurt/Main. Er leitet die Gruppe bildender Künstler im Arbeitskreis Egerländer Kunstschaffender e.V. 1987 wird er als Ordentliches Mitglied der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste berufen.

Mit zahlreichen Preisen wird die Bedeutung des Werkes von Helmut Hellmessen  anerkannt: 1979 Ehrendiplom „Hommage á Altdorfer“ der Stadt Wörth/Donau, 1981 Sudetendeutscher Kulturpreis für Bildende Kunst, 1982 Studienpreis der Heusendamm-Stiftung Frankfurt/Main, 1984 Stipendiat der Herwig-Schopper-Stiftung, 1988 Kulturpreis des Main-Kizing-Kreises, 1992 1.Preis „Mensch und Landschaft“ der Autorengalerie Weinstadt, 1999 Pygmalion-Medaille der Kultur-Stiftung der Wirtschaft e. V.

Werke von Helmut Hellmessen befinden sich im Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Kunsthalle Darmstadt, Rheinisches Landesmuseum Bonn, Klingspor-Museum Offenbach, Stadtmuseum Hanau, Deutsche Bundesbank Frankfurt/M., Kulturamt Frankfurt/M., Bundespost-Museum Frankfurt/M.

HAvL