Handschuhkassette

“Geborgen und verborgen” – Mai 2009

Was verbindet eine Handschuhkassette mit der Spanischen Grippe?

Ein aussagekräftiges Objekt aus dem Bestand des Egerland-Museums ist eine schlichte Handschuhkassette. Auf den ersten Blick ahnt man noch nicht, dass dieses Stück mit einer tragischen Geschichte behaftet ist.

Die Karlsbader Handschuhkassette mit dem Sprudelsteinmosaik und der Inschrift “Anna Riedl 1914”
(B 32,0 cm, H 7,6 cm, T 10,5 cm, Bestand Egerland-Museum, Inv.-Nr. 14716)

Auffallend ist die Längsform des Kästchens, was für die einstige Nutzung als Handschuhkassette spricht. Der Korpus besteht aus Weichholz, das außen mit feinem Furnier aus Nussbaummaser überzogen wurde. Innen kleidete man das Kästchen an Wandung und Deckel mit weiß lackierten Holzplättchen aus. Der Boden ist mit feinem rotfarbenen Samt bezogen. Hier hinein legte die „Dame von Welt“ ihre feinen und teueren Lederhandschuhe. Auffallend ist die verzierte Außenseite des Kassettendeckels. Mehrere Bandeinlagen aus Messing umrahmen ein Binnenfeld, das als Mosaik angelegt ist. Die einzelnen Schliffformen fertigte ein unbekannter Karlsbader Sprudelsteinschleifer aus den ortstypischen Sprudelsteinen, Kalksteinen und Malachitsplittern. Alle Einzelteile wurden symmetrisch zur Mitte als Ornamentband arrangiert. Die handwerkliche Tradition der Karlsbader Mosaikwaren reicht bis etwa 1830 zurück, als man eine Varietät des kalkhaltigen Sintergesteins der Karlsbader Quellen, den sogenannten gebänderten Sprudelstein, im Kunsthandwerk verarbeitete. Abnehmer einer reichen Palette von Souvenirartikeln, darunter auch Kassetten und viele weitere Gegenstände mit Sprudelsteinmosaiken, waren die Kurgäste. Ab dem Zweiten Weltkrieg und mit der Vertreibung der Egerländer erlosch dieses einzigartige Karlsbader Kunsthandwerk.

Bei genauem Hinsehen entdeckt man Monogramm und Datierung eingraviert: “Anna Riedl 1914”. Die letzte Besitzerin der Kassette, Frau Gertrud Träger aus München, weiß noch folgendes über diese junge Dame zu berichten: Anna Riedl wurde 1891 in Eger als Tochter eines städtischen Beamten geboren. Sie nahm als Teilnehmerin an einem Umzug der historischen Wallensteinfestspiele teil, die vor dem ersten Weltkrieg 1908, 1909 und 1911 in Eger stattfanden.

Die einstige Besitzerin der Handschuhkassette Anna Riedl ist für einen historischen Festzug der Wallensteinfestspiele in Eger eingekleidet.

Frau Träger berichtet weiter, dass ihr Vater Dr. med. Ferdinand Träger die besagte Anna Riedl 1919 heiratete. Tragischer Weise sollte die Ehe nur von kurzer Dauer sein. Zwischen 1918 bis 1920 wütete die Spanische Grippe als weltweite Pandemie, die durch eine Variante des Influenzavirus A/H1N1 verursacht wurde und die schätzungsweise zwischen 25 und 50 Millionen Todesopfer forderte. Die aktuelle Influenza-Epidemie, die im Frühjahr 2009 in Mexiko ihren Anfang nahm und die irreführend als “Schweinegrippe” bezeichnet wird, ähnelt übrigens der Spanischen Grippe, da sie denselben Subtypus aufweist. Der Name entstand, weil unzensierte erste Presseberichte über die in Spanien ausgebrochene Seuche Nachricht gaben. Sie trat in drei Wellen auf, im Frühjahr 1918, im Herbst 1918 und in vielen Teilen der Welt noch einmal ab 1919. Der Krankheitsverlauf war grundsätzlich heftig und kurz und ging mit starkem Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen einher. Den meisten Erkrankten ging es nach wenigen Tagen wieder besser. Todesfälle waren häufig auf eine starke bakterielle Lungenentzündung als Folge zurückzuführen. Häufig wurde eine begleitende, bläuliche bis schwarze Verfärbung der Haut beobachtet, was von einem akuten Sauerstoffmangel herrührte. Möglicherweise litt auch Anna Riedl an diesen Symptomen, denn sie verstarb 1920 an der Spanischen Grippe in Eger. Ihre Handschuh-Kassette und Ihre tragische Geschichte sind nun im Egerland-Museum geborgen.

Portraitfoto von Anna Riedl um 1905