Kauernde – Kunstwerk des Monats Oktober 2002

Egerländer Kunstgalerie Marktredwitz

Erdhaftigkeit des Menschen

Kauernde - Kunstwerk des Monats Oktober 2002

Die Kleinplastik Kauernde, 1952, Bronze, Höhe 10 cm, gehört zu den insgesamt sechs  Skulpturen des Egerer Bildhauers Seff Weidl, die in der Schausammlung der Kunstgalerie im Egerland-Kulturhaus Marktredwitz gezeigt werden. Seff Weidl gehört zu den großen Künstlern, die aus dem Egerland stammen und nach der Vertreibung zu hoher internationaler Anerkennung gekommen sind. Mit seinem künstlerischen Schaffen und seinen Werken hat er einen viel beachteten Beitrag zur modernen Kunst geleistet. Anlässlich einer Ausstellung in San Franzisko wird 1971 über ihn geschrieben: „Seine plastischen Werke füllen in unseren Industriestädten die gähnende Leere der betonierten Straßenschluchten aus und verwandeln die Bauflächen in eine humane Umwelt.

Die Kleinplastik, die in diesem Monat mit unseren Betrachtungen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt wird, gehört zu den Werken des Künstlers, die sich mit dem Menschen beschäftigen. Anders als die beiden weiteren Skulpturen von Menschen, die wir in früheren Betrachtungen vorgestellt haben, wirkt diese Skulptur eher unscheinbar. Dennoch gelingt es dem Künstler auf seiner lebenslangen Suche nach der Wahrheit auch mit diesem Werk etwas Wesentliches des Menschlichen zu vermitteln.

Die kauernde Haltung des Menschen ist nicht etwas Alltägliches. Der Mensch geht, bewegt sich; er sitzt, er steht, er liegt. Wenn er sich auf den Boden kauert und kauernd dort verweilt, dann muss etwas Besonderes geschehen sein. In der Skulptur, die in ihrer Reduzierung auf das Wesentliche vor allem menschliche Gestik zeigt, wird dies deutlich durch die Neigung des Oberkörpers zur Erde, gestützt auf den linken Arm und auf das linke Bein, auf die der gesamte Körper gelagert ist. Der Kopf ist ebenso gegen die Erde geneigt. Dagegen ragt das rechte Bein, mit dem Fuß auf den Boden gestützt abgewinkelt nach oben in Überlänge über den kauernden Körper hinaus. Eine solche Haltung nehmen Menschen ein, wenn sie am Boden gelegen haben und versuchen aufzustehen, es ihnen aber nicht gelingt. Die Erde, auf die sie fixiert sind, gibt sie nicht frei. Sie sind dem Boden verhaftet. Ihre Kräfte reichen nicht aus, um sich (wieder) zu erheben und sie sind deshalb mutlos. Aus dieser Gestik entstehen Gedanken, die an die gerade überstandene Hochwasser-Katastrophe mit ihren Verwüstungen in weiten Teilen Europas erinnern. Dieses Naturereignis machte deutlich, wie sehr wir Menschen den Urkräften der Erde ausgeliefert sind. Wir Menschen sind der Erde verhaftet und können uns letztendlich, dieser Erdhaftigkeit nicht entziehen. Mit dieser Assoziation führt uns die Skulptur auf etwas Wesentliches des Menschseins hin. Die ursprünglich für den Künstler maßgebliche Assoziation ist wohl die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts, der zweite Weltkrieg mit Tod und Zerstörung, Diktatur und Völkermord, Flucht und Vertreibung.

Damit bildet das Kunstwerk einen wichtigen Bestandteil der für die  Skulpturen von Seff Weidl maßgeblichen Gedankenwelt, die sich mit der Suche nach der Wahrheit und dem Wesen des Menschlichen beschäftigt. Dies gilt auch für die Skulpturen, die in der Egerländer Kunstgalerie zu sehen sind. Sichtbarmachung beschäftigt sich mit der Begegnung der Menschen untereinander, also mit Kontakten und Beziehungen von Mensch zu Mensch. Die Skulptur Mutter und Kind  stellt auf die Beziehungen von Mensch zu Gott ab. Die Kauernde ist der Beziehung vom Menschen zur Erde gewidmet. So werden die drei wichtigsten Beziehungen des Menschen in seinem Dasein erfasst. In diesen Kontext sollte die Kauernde eingereiht werden, um ihren Sinngehalt zu erfassen. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass der Künstler für den Soldatenfriedhof in Marl einen überlebensgroßen Skulptur mit der Bezeichnung Kauernder, geschaffen hat, die (von der Größe abgesehen) identisch mit der hier betrachteten kleinen Plastik Kauernde ist.

Seff Weidl ist 1915 in Eger geboren und 1972 in Inning am Ammersee verstorben. Er studiert von 1936 bis 1938 an der Akademie der Bildenden Künste in München. Seine Studien führen ihn nach Frankreich und Italien. Nach Kriegsdienst, Gefangenschaft und Vertreibung lässt er sich in Kreuth am Tegernsee als freischaffender Künstler nieder. Er unternimmt Reisen in Euroopa und nach Afrika und Amerika. Bereits 1948 macht er seine erste Ausstellung mit dem Kunstverein in Stuttgart. 1950 erwirbt das Institut of Art in Chikago eine seiner Skulpturen. Er ist dann ständiger Gast in der Galerie Kleemann in New York und arbeitet für das Monterey Institut of Foreign Studies in  California.

1955 erhält er den Förderpreis für Bildende Kunst der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Er stellt in München, Frankfurt und Basel, aber auch in San Franzisco und anderen Städten in den USA aus. Seff Weidl ist in dieser Zeit der am meisten beschäftigte Bildhauer in der Bundesrepublik. Er schafft Skulpturen für öffentliche Plätze und Gebäude in vielen Städten der USA und in den deutschen Städten Bonn, Bremen, Essen, Friedrichshafen, Hannover, Hamburg, Köln, Lübeck München, Nürnberg, Regensburg und Ottobrunn. In Westerland auf Sylt stattet Weidl eine katholische Kirche mit Plastiken aus. 1968 verlegt Weidl sein Atelier nach München-Unterhaching, dann 1971 nach Inning am Ammersee, wo er im Alter von nur 57 Jahren verstirbt.

Seff Weidls Mosaiken, Großplastiken, Glasfenster und seine Kleinplastiken befinden sich in bedeutenden Kunstsammlungen. Die Skulptur Kauerde ist eine Leihgabe des Museums Ostdeutsche Galerie Regensburg.

Hans-Achaz v. Lindenfels