Schwangere – Kunstwerk des Monats Mai 2004

Egerländer Kunstgalerie Marktredwitz

Schwangere - Kunstwerk des Monats Mai 2004

Einsam am Rand der Gesellschaft

Das Gemälde Schwangere, Öl auf grundierter Leinwand, 80 x 86 cm, von Franz Gruss ist undatiert und wohl in die Zeit einzuordnen, in der sich der Künstler nach dem ersten Weltkrieg in Wien mit modernen Strömungen in der Kunst und mit den sozialen Problemen der Zeit auseinander setzt.

Bereits in diesem Werk zeigen sich charakteristischen Grundlagen seines Œuvre: die detailarme Großflächigkeit, das malerische Kolorit und die vereinfachten Formen. In einer topografisch nicht bestimmbaren Landschaft führt eine menschenleere Straße weit in den Horizont. Sie wird lediglich seitlich begrenzt durch Masten mit einer Leitung. Dunkle Wolken am Himmel zeugen von einem abklingenden Unwetter. Im noch feuchten Straßenbelag spiegeln sich matt die Leitungsmasten. Die Straße verliert sich am Horizont, wie wenn sie ins Unendliche führte. Auf der Horizontlinie wird rechts neben der Straße ein hohes einzelnes Gebäude mit zwei hohen Schloten in Umrissen sichtbar. Das Gebäude gibt kein Ziel für die Straße. Vielmehr unterstreicht es mit seiner Schemenhaftigkeit die Verlassenheit und Leere der Landschaft. Was sich jenseits der Horizontlinie verbirgt, bleibt unsichtbar. Im Vordergrund fast am linken Bildrand dominiert die Gestalt einer noch jungen, hoch schwangeren Frau in einem schlichten hellgrauen Kleid und von einem rötlichen Umhang vom Kopf bis zu den Beinen umhüllt. Ihre weich anmutende, leicht angedeutete Physiognomie zeigt wenig ausgeprägte individuelle Züge, das Haar ist fast vollständig durch den Umhang verdeckt. Die Erscheinung der Schwangeren erscheint züchtig und tugendhaft, wie wenn der Zustand des Mutterwerdens madonnenhafte Unschuld signalisieren sollte. Die dargestellte Umgebung symbolisiert jedoch zugleich Einsamkeit und Verlassenheit, der allein stehende schwangere Frauen ausgesetzt waren. Ihr Weg führt wie die Straße ins Ungewisse und sie  bleiben in ihrer gesellschaftlichen Notlage allein. Dem Künstler ist es, so will es scheinen, gelungen, die beiden Aspekte – das Madonnenhafte und das Notleidende – in seinem Werk in unvergleichbarer Art zum Ausdruck zu bringen.

Franz Gruss ist 1891 in Graslitz, am Rand des Erzgebirges geboren. Er besucht die Realschule in Eger und legt 1909 das Abitur ab. Bis 1914 studiert er an der Akademie der Bildenden Kunst in Wien. Im ersten Weltkrieg gerät er 1915 in russische Kriegsgefangenschaft, die er in Sibirien verbringen muss. Drei Jahre später, 1918, gelingt ihm die Flucht.

Bis 1923 lebt er dann wieder in Wien und besucht die Meisterschule. Er beschließt als freischaffender Künstler zu arbeiten. In Wien begegnet er vielen Künstlern und dem vielfältigen Kunstbetrieb der frühen zwanziger Jahre. Ihn zieht es jedoch in die Stille und Abgeschiedenheit des Erzgebirges. In Silberbach bei Nancy im Erzgebirge errichtet er eine Blockhütte, die ihm als Wohnhaus und Atelier dient. Im Wettbewerb für die Gestaltung der St. Clara Kirche in Eger zu einer Gedenkhalle für die im Weltkrieg gefallenen 22.000 Egerländer erhält er ( zusammen mit dem Architekten Scherer aus Zürich) den ersten und zweiten Preis. Mit diesem Werk gelingt ihm der künstlerische Durchbruch. Er beteiligt sich an Ausstellungen der von Gustav Klimt mitbegründeten Sezession in Wien; darüber hinaus an Ausstellungen in Eger (1930), Karlsbad, Brüx, Prag, Teplitz Reichenberg, Wien, Breslau und Weiden/Opf.

Die Vertreibung aus der Heimat führt ihn und seine Frau nach Wien. 1947 gestaltet er dort das Haus der Tischlerinnung mit einem Sgraffito. Es folgen dann zahlreiche Arbeiten im öffentlichen und kirchlichen Bereich.  Reisen führen ihn nach Italien, Griechenland, Frankreich und Spanien. 1956 erhält er die Nordgau-Plakette. 1971 erscheint eine ausführliche Monographie von Raimund Atzinger im Kolb-Verlag Dettingen. 1974 findet im Egerland-Kulturhaus Marktredwitz eine Einzelausstellung zum Lebenswerk des Künstlers statt. Sie ist in der Reihe der zahlreichen Kunstausstellungen durch das persönliche Engagement und durch die Mitwirkung von Ernst Schremmer eine der Ausstellungen, die einen großartigen Einblick in das Schaffen eines großen Egerländer Malers vermittelten.  Franz Gruss stirbt 1979 in Mistelbach a. d. Zaya in Niederösterreich.

Das Gemälde Schwangere ist eine Leihgabe der Tochter des Künstlers, Mag. Gun-dula Löffelmann in Wien.

Hans-Achaz v. Lindenfels