Eine Vertriebene – Kunstwerk des Monats Dezember 2006

Egerländer Kunstgalerie Marktredwitz

Eine Vertriebene - Kunstwerk des Monats Dezember 2006

Traumata der Vertreibung

Am Ende des Jahres, in dem in verschiedenster Weise der Vertreibung der Egerländer aus ihrer angestammten Heimat vor sechzig Jahren gedacht wurde, stellen wir ein Gemälde aus dem Zyklus Skizzenbuch der Vertreibung von Helmut Hellmessen als Kunstwerk des Monats vor. Mit diesem Zyklus verarbeitete der Künstler in den letzten Jahren seine Erlebnisse am Ende des zweiten Weltkrieges und die seiner Landsleute. Zu dem Zyklus gehört das Gemälde Eine Vertriebene, 2005, Kohle, Farbkreide, Öl auf Karton, 150 x 75 cm.

Der Künstler versucht in der Darstellung einer Frau, deren Erscheinung fast vollständig und fast lebensgroß wiedergegeben wird, das menschliche Leid darzustellen. Er bedient sich dabei einer Technik, die von der Skizze, also der Zeichnung, ausgeht. Die Zeichnung ist in Kohle ausgeführt. Mit Farbkreide und Öl sind Teile der Skizze hervorgehoben. Die Skizze ist mit der die Arbeiten des Künstlers beeindruckenden Spontaneität ausgeführt und erhält nicht zuletzt dadurch ihre Ausprägung. Die Frauengestalt ist bepackt mit einem Rucksack, dessen umfangreicher Umriss rechts im Bild zu erkennen ist. Dieser Umriss erfährt nach unten durch eine prallgefüllte Aktentasche, die von der linken Hand gehalten wird, seine Fortsetzung. Die linke Hand, die diese Tasche hält, ist der Abschluss eines Kleiderärmels, der zu einer voluminösen Kleidung der Frauengestalt gehört. Mit dem Volumen der Kleidung wird angedeutet, dass die Menschen damals wegen der Gewichtsbegrenzung für das Gepäck mehrere Kleidungsstücke übereinander trugen. Dieses außergewöhnliche Volumen der Kleidung wird auch auf der linken Bildseite sichtbar. Die rechte Hand, die ebenfalls aus der Kleidung heraus nach unten greift ist leer und hält nur die Kleidung bzw. ein weiteres Gepäckstück zurück. Der Kopf der Frau wird durch die rostrote Farbe der Haare, die schwungvoll das Gesicht einrahmen, hervorgehoben. Die rostrote Farbe setzt sich an der Gestalt nach unten als große Flecken über der Kleidung und der Aktentasche fort. Das Gesicht ist sehr präzise als Zeichnung ausgeführt. Es spiegelt Schmerz und Leid wieder. Die Gesamthaltung der Gestalt vermittelt durch ihre Körpersprache das Unterwegssein und die Ungewissheit über den weiteren Weg. Hinter der Frauengestalt sind mit senkrechten Strichen Schatten des Körpers angedeutet. Sie mögen symbolhaft Bezüge zur Vergangenheit darstellen. Die in gewisser Weise impressionistische Frauengestalt gelingt dem Künstler zugleich mit einer ausgeprägten Ästhetik. Sie lässt auch die Faszination des Künstlers an der Darstellung menschlicher Körper erkennen, die nicht zuletzt auch durch die intensive Beschäftigung mit den antiken Mythen und die  Formensprache der Antike beeinflusst ist.

Mit der künstlerischen Darstellung der Vertreibung ist es Helmut Hellmessen gelungen, nicht nur das Leid von Menschen darzustellen. Er verleiht damit auch einer politischen Forderung Ausdruck. Es ist die Forderung nach Gerechtigkeit und nach Ächtung der Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat. Kardinal Lehmann bringt in seinem Vorwort zu dem Skizzenbuch dies auch zum Ausdruck. Beim Sudetendeutschen Tag 2006 in Nürnberg versuchte der Künstler mit einer lebensgroßen Wandgestaltung aus dem Skizzenbuch diesen politischen Forderungen zusätzlich Ausdruck zu geben.

Helmut Hellmessen ist 1924 in Karlsbad geboren. Er besucht zunächst Schulen in Aussig und Prag, macht dann den Krieg als Soldat mit und wird als Zwangsarbeiter bis 1947  in einem Arbeitslager im Brüxer Kohlebergwerk eingesetzt. Nach der Vertreibung aus der Heimat besucht er die Werkkunstschule in Offenbach und schließt sein Studium 1953 mit dem Staatsexamen ab. Von 1954 bis 1956 ist er Atelierleiter bei einem Pressedienst in Frankfurt/Main. Seit 1957 ist Hellmessen freiberuflich als Grafiker und Maler tätig. Er lebt und arbeitet seit 1964 in Maintal bei Frankfurt/Main. Seit 1985 ist er Dozent an der Internationalen Sommerakademie Moosburg/Kärnten.

Hellmessens künstlerisches Werk hat die Zeichnung als Grundlage. Er selbst bezeichnet die Zeichnung als sein intimstes Ausdruckmittel. Dies dokumentiert ein Projekt, das er 2002 fertig stellte: Die Sammlung von 6.500 Zeichnungen in 36 Bänden. Dennoch ist Hellmessen ein Künstler mit vielen Facetten, was seine verschiedenen Ausstellungen immer wieder unter Beweis stellen. Ausgehend von seiner klassischen akademischen Schulung entwickelt sich bei ihm ein grafisches Oeuvre im Bereich „Mensch und Raum“ und „Figur und Landschaft“ mit starker Betonung des Zeitkritischen in einem eher expressiv magischen Realismus. Neben den Zeichnungen entstehen Gouachen, farbige Kreidezeichnungen, Aquarelle, Lithographien und Radierungen. Eine starke Ausrichtung auf das Druckgrafische folgt und ab 1972 verstärkt in der Technik der Radierung. Ein besonderer Schwerpunkt sind Buchillustrationen, vor allem mit dem Verlag Edition Curt Visel, Memmingen. Es entstehen die Bücher Prag, Rom, Provence. 1988 folgt ein Übergang zu Materialbildern in Acryl im Großformat. Thema „Tabor“ (Lager), figürliche Kompositionen, stark abstrahiert, später Übergang zu sehr spontaner Malweise. Diese Spontaneität findet auch ab 1990 Niederschlag in den Zeichnungen, die sich zu grafischen Chiffren verselbständigen. Dank seiner unerschöpflichen Phantasie entsteht Surrealistisches mit hohem werkimmanentem Wert (Professor Dr. Wolf Spemann, Universität Frankfurt/Main).

Helmut Hellmessen beteiligt sich an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland und erhält viele Einzelausstellungen. Die Zahl der Ausstellungen wird mit 360 angegeben.  Es finden sich darunter die Städte Tel Aviv, Kairo, Alexandria, Krakau, Rijeka, Mailand, Lyon, Bern, Darmstadt, Aschaffenburg, Frankfurt/Main, Hanau, Marktredwitz. Der Künstler ist Mitglied der Neuen Sezession Darmstadt, der Künstlergilde Esslingen, der Künstlergruppe Prisma und des BBK Frankfurt/Main. Er leitet die Gruppe bildender Künstler im Arbeitskreis Egerländer Kunstschaffender e.V. 1987 wird er als Ordentliches Mitglied der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste in München berufen.

Mit zahlreichen Preisen wird die Bedeutung des Werkes von Helmut Hellmessen  anerkannt: 1979 Ehrendiplom „Hommage á Altdorfer“ der Stadt Wörth/Donau, 1981 Sudetendeutscher Kulturpreis für Bildende Kunst, 1982 Studienpreis der Heusendamm-Stiftung Frankfurt/Main, 1984 Stipendiat der Herwig-Schopper-Stiftung, 1988 Kulturpreis des Main-Kizing-Kreises, 1992 1.Preis „Mensch und Landschaft“ der Autorengalerie Weinstadt, 1999 Pygmalion-Medaille der Kultur-Stiftung der Wirtschaft, 2004 Egerländer Kulturpreis „Johannes von Tepl“. 2004 erhält Helmut Hellmessen aus Anlass des 25.Jährigen Bestehens des Kulturkreises in Büdingen eine große Jubiläumsausstellung. Die Stadt Maintal erwirbt im gleichen Jahr den vierteiligen Zyklus Das Urteil des Paris. Außerdem  übernimmt die Graphische Sammlung des Hessischen Landesmuseums Darmstadt 9 Werke des Künstlers. In 2006 wird eine größere Anzahl von Werken vom Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg übernommen.

Hans-Achaz v. Lindenfels