Signal – Kunstwerk des Monats August 2004
Egerländer Kunstgalerie Marktredwitz
Spielerisches mit geometrischen Formen
Signal an einen Kritiker ist der Titel des Kunstwerks des Monats August. Es entstand 1975 in Acryl auf Leinwand (80 x 100 cm). Es ist von der eigenständigen Individualität des Malers Ernst Wild geprägt. Sein künstlerisches Werk lässt sich nicht einer ganz bestimmten Stilrichtung zuordnen. Sein Werk ließe sich wohl in einen „ismen“-Topf stecken. Damit hätte man es sich aber zu leicht gemacht. Der Künstler wäre damit nicht gerecht behandelt. Anlässlich einer Ausstellung in Kempten im Jahr 1976 stellte Gottfried Peer Ueberfeldt fest, dass nur die permanente Entwicklung die kontinuierliche Komponente darstellt. Einmal Erarbeitetes wird ständig variiert und dann auch wieder verworfen, um Neues zu entwickeln. Im Lauf von Jahren sind jedoch geometrische Formen ein konstantes Element im Ausdruck des Künstlers geworden. Es wechseln sich Dreiecke, Rechtecke mit Kreisen, Streifen und Linien ab. Sie sind Gegenstand einer Komposition, die wie ein Spiel wirkt, das nur vom Format des Werkes wie ein Raum begrenzt ist. In diesem Raum dehnt sich im Hintergrund ein unendlicher Horizont, eine unaufhörliche Weite. In diese Unendlichkeit sind die Formen gestellt und zueinander in Beziehung gesetzt. Dabei erhalten sie Bewegung: die Formen strahlen wie Signale Dynamik aus, die den Blick bannt. Durch ihre neue Definition und Zuordnung werden die geometrischen Formen zu Phantasiefiguren und zeigen eine poetische Realität, außerhalb der gewohnten Wirklichkeit.
Durch die späten Werke von Ernst Wild zieht sich wie ein roter Faden eine stille Heiterkeit, die – wie Ueberfeldt meint – im Vergleich zur schreienden Lustigkeit modischer Trends schon fast wie überirdische Abgeklärtheit erscheint.
So sind auf dem Gemälde, das in der Schausammlung der Kunstgalerie neben dem Werk des Künstlers mit dem Titel Es fängt gut an hängt, das Spielerische und das Heitere die hervorstechenden Elemente, die die Komposition geometrischer Formen ausstrahlt. Am unteren Rand des Bildes ist eine längliche rechteckige Form in brauner Farbe angeordnet, die wie ein Schiff wirkt. Dieser Eindruck, dass es sich um ein Schiff handeln könnte wird dadurch verstärkt, dass aus diesem Rechteck zwei kleine Rechtecke wie ein Schlot oder wie ein Mast herausragen. Das links angeordnete kleine Gebilde weist oben keine glatte Fläche auf, sondern dreieckige Zacken und wirkt deshalb wie ein abgebrochener kleiner Schlot. Das größere Gebilde wirkt wie ein sehr starker Mast. An diesem Mast ist eine weitere geometrische Form entwickelt, nämlich ein weiteres großes fast quadratisches Rechteck, das die Mitte des Werkes vollständig ausfüllt. Das Rechteck ist dreidimensional ausgestaltet, wie ein kompakter rechteckiger Kasten auf einer Stange. Der Eindruck eines Kastens wird noch dadurch verstärkt, dass die schmalen Seitenflächen, die rechts und unten zu sehen sind, sich in grauer Farbe von dem Dunkelblau des Rechtecks abheben. In dem blauen Rechteck ist ein großer schwarzer Ring angeordnet, der bis an die Ränder des Rechtecks reicht. In diesem Ring leuchtet rot ein Kreis, der durch graue Strukturen, dreidimensional wie eine Kugel wirkt. Es entsteht der Eindruck eines Schiffes mit einem kompakten Segel, das besondere Signale aussendet. Dieser Eindruck wird aber dadurch aufgehoben, dass an dem Rechteck oben rechts ein kleines auf der Spitze stehendes Dreieck in den Farben rot und schwarz angeordnet ist. Auch der Eindruck eines Schiffes wird bei dem länglichen Rechteck am unteren Bildrand dadurch wieder aufgehoben, dass am linken Ende dieses Rechtecks ein kleines blaues Rechtseck angesteckt ist mit einem gequetschten Kreis mit schwarzen Punkten auf gelber Fläche. Auf der rechten Seite dieses Rechtecks befinden sich weitere kleine geometrische Formen, die ebenfalls mit dem Eindruck eines Schiffes nicht kompatibel sind. Die Unendlichkeit des Raums, in dem diese Komposition der geometrischen Formen steht, ist durch graue Farbtöne mit dunklen und hellen Zonen gegliedert, wirkt perfekt. Sie ähnelt zwar der Unendlichkeit eines Meeres. Dieser Eindruck wird aber durch die geometrische Abgrenzung der Hell-Dunkel-Zonen ebenfalls wieder aufgehoben.
Das Spielerische dieses Werks ist wohl dadurch gegeben, dass der erste Eindruck, den der Betrachter durch die Ähnlichkeit mit einem Segelschiff gewinnt, gezielt durch die Zuordnung einzelner geometrischer Formen, wieder aufgehoben wird. Offenbar beabsichtigt der Künstler damit zu verdeutlichen: der Betrachter kann seinem zunächst gewonnen Eindruck von einem Kunstwerk nicht trauen. Ein Kunstwerk erfordert eine intensivere Betrachtung und Auseinandersetzung mit dem Dargestellten, um die Dimension des geistigen Inhalts zu erfassen. Diese Botschaft könnte auch das ″Signal an einen Kritiker″ darstellen, wenn nicht der Betrachter – durch die Phantasie des Künstlers angeregt – andere Bilder entstehen lässt.
Ernst Wild ist 1924 in Altrohlau bei Karlsbad geboren. Von 1938 bis 1942 besucht er die Kunstgewerbeschule in Karlsbad und studiert bei Professor Adolf Hegenbarth Malen und Grafik. Nach der Vertreibung ist Ernst Wild freischaffender Künstler in Kempten im Allgäu. 1952 übersiedelt er nach München. Er ist mit seinen Gemälden und Grafiken bald sehr gefragt. In Plakatwettbewerben erhält er wiederholt erste Preise. Das Plakat zur Großen Kunstausstellung im Haus der Kunst in München in 1980 stammt von ihm. Auf zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen ist er vertreten. Werke werden von öffentlichen Stellen erworben so u. a. von verschiedenen Ministerien in Bayern und Hessen. Wild ist Vorstandsmitglied bei der Neuen Münchner Künstlergenossenschaft und im Vorstand der Ausstellungsleitung der Großen Kunstausstellung in München und von 1981 bis 1984 deren Präsident. In 1985 stirbt er in München.
Ernst Wild erhält viele Preise und Auszeichnungen: 1952 Kunstpreis der Stadt Kempten, 1962 Kulturpreis für Bildende Kunst der Sudetendeutschen Landsmannschaft, 1967 Kunstpreis der Region Schwaben, 1974 Seerosenpreis für Bildende Kunst der Stadt München. Seine Werke werden in vielen öffentlichen Museen und Sammlungen gezeigt: u. a. Städtische Galerie München, öffentliche Sammlungen in Frankfurt/Main, Augsburg, Kempten, Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg.
Das Gemälde Signal an einen Kritiker ist eine Leihgabe der Witwe des Künstlers Edith Wild.
Hans-Achaz v. Lindenfels