Der Spazierstock
“Geborgen und verborgen” – April 2011
Der Spazierstock
Mit dem Frühlingsbeginn und den ersten warmen Sonnenstrahlen sieht man wieder zahlreiche Spaziergänger in den Parks und auf den Feldwegen, die sich zum Zeitvertreib und zur Entspannung an der frischen Luft bewegen.
Spaziergänger mit Gehstock, Karlsbad, Inv.Nr. 12339
Bestand des Egerland-Museums Marktredwitz
Der Ursprung des Spaziergangs liegt in dem aristokratischen “Lustwandeln” in Gärten und Barockparks. Später förderten soziale Komponenten die Begeisterung für das Flanieren in der Natur, denn beim Spaziergang konnte man ideal soziale Kontakte knüpfen oder auch ungestört Gespräche führen. Unter den Bürgerlichen kam das Spaziergehen im 18. Jahrhundert in Mode. Das Bürgertum, das um die Jahrhundertwende vom 18. und 19. Jahrhundert ein starkes Selbstbewusstsein entwickelte, brachte dies mit einer neuen Art des Auftretens in der Öffentlichkeit zum Ausdruck: Aufrechtes und selbstbewusstes Gehen mit gleichmäßigen Schritten wurde in den neuen Parkanlagen der Städte und auf den Promenaden “eingeübt”. An Sonntagen traf man sich jetzt in Gruppen zu geselligen Spaziergängen an der frischen Luft. In Kurorten wurden für das Flanieren eigens Rundwege angelegt, die “Spaziergänge” genannt wurden. Das langsame Gehen war auch ein wichtiger Bestandteil der Trinkkur.
Spaziergang auf der Kur Kolonnade, Karlsbad, Inv.Nr. 12331
Bestand des Egerland-Museums Marktredwitz
Der Spazierstock spielte beim Spazierengehen eine wichtige Rolle. Ein Stock oder ein Sonnenschirmchen in der Hand erleichterte und beschwingte das Gehen. Der männliche Spaziergänger schwang den Spazierstock im Rhythmus des Gehens. Dabei fasste seine Hand nur locker um den Stockgriff, hielt ihn nach dem Nach-Oben-Schwenken etwas fest oder bremste den Abschwung etwas, da der Stock ansonsten asynchron zu früh zu Boden geschwungen wäre. Dann stieß er den Gehstock in den Boden und zog ihn mit dem Vorschwingen des Arms wieder heraus, dem er dann nach vorne und oben folgte. Die Arme wurden dabei genau so geschwungen wie ohne Stock. Ein geübter Spazierstockträger konnte den Stock auch Schwingen, ohne den Boden zu berühren.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert setzte sich der Gehstock auch beim Mittelstand der Bevölkerung durch. Die industrielle Revolution, die in Europa zur Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Einzug hielt, steigerte die Beliebtheit des Gehstocks, da auf Grund von maschinellen Fertigungsmethoden der Preis eines Spazierstocks nun auch für einen Normalbürger bezahlbar war. Stöcke dienten nicht mehr in erster Linie als Gehhilfe, sondern vielmehr als Körperstütze, um eine gerade Haltung des Körpers zu gewährleisten.
Ein rund gebogener Griff, der gut in der Hand schwingt, und eine Eisen- oder Stahlspitze zeichneten einen guten Gehstock aus. Hauptzweck war es, die optische Erscheinung des Spaziergängers zu unterstreichen, dazu wurde der Stock ähnlich wie Hut und Handschuhe meist passend zur Kleidung gewählt. Um den sozialen und wirtschaftlichen Status hervorzuheben, wurden teuere Spazierstöcke oft aus edlen Materialien gefertigt, beispielweise mit Silberknauf. Manchmal zierte auch ein kunstvoll geschnitzter Griff in der Form eines Tierkopfes den Gehstock. In der Zeit der ersten Reisen zu Sehenswürdigkeiten wurden die besuchten Orte oft als bunte Bild-Plaketten mit kleinen Stocknägeln an den Spazierstöcken befestigt.
Im Bestand des Egerland-Museums befinden sind seit kurzen zwei neue Gehstöcke: Ein einfacher Herrenspazierstock aus Rosenholz mit Hornknauf (Inv.Nr. 17900) und ein Gehstock aus schwarz lackiertem Holz mit angesetztem Knauf aus Bein (Inv.Nr. 17901).
Spazierstöcke
Rosenholz mit Hornknauf Inv.Nr. 17900
Lackiertes Holz mit Beinknauf, Inv.Nr 17901
Bestand des Egerland-Museums Marktredwitz
Inzwischen wird der Spazierstock als altmodisches Accessoire angesehen, der Besitzer steht schnell unter Verdacht, an einer Gebehinderung zu leiden. Aber vielleicht kommt ja der Spazierstock wieder einmal in Mode?
Carola Reul M.A.
Egerland-Museum Marktredwitz
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag, von 14:00 bis 17:00 Uhr